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Onno Schroeder, 12.02.18

Die größte Friedenskonferenz aller Zeiten – Geschichte interaktiv widmet dem Versailler Vertrag nun eine ganze DVD.

Frankreich – Russland – Deutschland und die USA – der Hauptfilm des dritten Teils zum 1. Weltkrieg beleuchtet zu Beginn, wie sich die Situation in den einzelnen Ländern nach dem Ende des Krieges darstellt. Es geht darum zu verstehen, warum die Sieger und das besiegte Deutschland so reagieren, wie sie reagieren. Was beschäftigt die Menschen in Frankreich, welchen Einfluss hat der russische Bürgerkrieg, wie ist die Stimmung in Deutschland und welche Ziele verfolgen die USA? Dieser Blick auf die einzelnen Länder ist logisch und klug, aber keinesfalls selbstverständlich. Auf ansprechende Weise wird hier deutlich gemacht, welche Motivation die einzelnen Verhandlungspartner trieb, den Versailler Vertrag so zu gestalten, wie er dann Deutschland zur Unterschrift vorgelegt wurde. Hierbei kommen – wofür die Reihe bekannt ist – viele Primärquellen in Form von zeitgenössischem Filmmaterial und kommentierende und bewertende Historikermeinungen zum Einsatz. Besonders gut dargestellt wird auch die Rolle des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, der mit hehren Ambitionen das Unterfangen der Befriedung Europas anging, aber an seinen eigenen Ansprüchen und wohl auch an seinem überlegenen Auftreten, was die europäischen Verhandlungspartner verstörte, scheiterte. Diese Ambivalenz wird sehr gut durch die Einschätzungen der ExpertInnen herausgestellt. Der zu Beginn multiperspektivische Ansatz findet sich immer wieder in der neuesten Produktion der geschichte interaktiv-Reihe. Ohne ihn ist ein umfassendes Verständnis des Versailler Vertrags und seiner Folgen für Europa nicht zu verstehen.

Neben dem Hauptfilm, der einen guten ersten Überblick gibt, wartet die DVD mit fünf weiteren Modulen auf:

Modul 1: Deutschland und der Friedensvertrag von Versailles

Modul 2: Geschichte in Karten: Der Zerfall der Imperien nach 1918

Modul 3: Geschichte in Standpunkten: ExpertInnen bewerten den Versailler Vertrag

Modul 4: Geschichte im Fokus: Historische Hintergründe zum Versailler Vertrag

Modul 5: Geschichte in Texten: Kriegserfahrungen

Das erste Modul (25 Minuten) widmet sich der Novemberrevolution und den Friedensverhandlungen. Hierbei liegt der Schwerpunkt auf der deutschen Perspektive und der besonderen Rolle von Matthias Erzberger. Hierbei wird auch deutlich, wie gravierend der Krieg die Bevölkerung getroffen hat und ganze Landstriche zerstört hinterlassen hat. Die deutsche Vorstellung mit einem milden Frieden rechnen zu können, scheint unter diesen Umständen geradezu naiv. Gut herausgestellt wird, dass aber auch die unterschiedlichen Ziele der USA, Großbritanniens und Frankreichs die Verhandlungen in Versailles besonders komplex machen.

Das zweite Modul unter dem Titel „Geschichte in Karten“ befasst sich mit dem Zerfall der Imperien nach 1918. Hier wird auf eindrückliche Weise deutlich gemacht, welche Folgen die Nachkriegsordnung für Minderheiten in Europa hatte und wie schwer das von Wilson geforderte Selbstbestimmungsrecht mitunter umzusetzen war. Welch gravierende Folgen der erste Weltkrieg für Österreich-Ungarn, das Osmanische Reich und das Russische Zarenreich hatte, wird in drei kurzen Filmsequenzen (je ca. 6 Minuten) anschaulich dargestellt. Dieser Blick auf die Verschiebungen der Grenzen zu dieser Zeit vermittelt den Schülern eindrücklich die Hintergründe und die Bedeutung von Unabhängigkeitsbewegungen in unserer Zeit. Hierin wird deutlich, dass die Folgen des 1. Weltkriegs bis heute spürbar sind – dieser Aspekt des Gegenwartbezugs könnte in diesem Modul noch stärker hervorgehoben werden. Tatsächlich lässt dieses Format die Karten lebendig werden und macht den Schülerinnen und Schülern auf ansprechende Weise deutlich, wie sich die Ländergrenzen im 20. Jahrhundert verändert haben.

Auch das dritte Modul „Geschichte in Standpunkten“ ist in dieser Form neu. Zu Wort kommen ExpertInnen, die sich zu unterschiedlichen Themenkomplexen äußern: Gab es nach 1918 eine echte Chance auf Frieden?; Was spricht für, was gegen den Völkerbund?; Die neue Welt nach 1918 und die Folgen des Zerfalls der Imperien bis heute. Besonders hier – wie aber in der Gesamtheit – ist das didaktische Begleitmaterial wiederum gut auf die Filmsequenzen abgestimmt. In diesem Zusammenhang bieten die Aussagen der verschiedenen Experten in Verbindung mit den Arbeitsblättern hervorragende Diskussionsgrundlagen. Mitunter wünscht man sich noch pointiertere und kontrastierendere Aussagen, aber gerade der Praxisbezug zeigt, wie gut das Material „funktioniert“. So verlief eine Diskussion in einer 10. Klasse zur Bedeutung und zum Scheitern des Völkerbundes sehr kontrovers und ergiebig. Die Schülerinnen und Schüler konnten klar Position beziehen und die Argumente der Historiker aufgreifen und weiterentwickeln.

Anhand dieser Sequenzen lässt sich auch gut darstellen, was einen Teil der Arbeit von Historikern bzw. Geisteswissenschaftlern im Allgemeinen ausmacht. So konnte das Berufsfeld des Historikers auch auf eine interessante Weise den Schülerinnen und Schülern näher gebracht werden.

Besonders weil die Einheit zum Versailler Vertrag in einer bilingualen Klasse (auf Englisch) eingesetzt wurde, wären Bewertungen von amerikanischen, britischen, französischen bzw. generell ausländischen Historikern gewinnbringend. Dies ist aber mehr als Anregung für zukünftige Produktionen, denn als Kritik zu verstehen. Das Format „Geschichte in Standpunkten“ überzeugte den Autor vollständig und ist auf jeden Fall bei zukünftigen Produktionen beizubehalten.

Ein weiteres Format findet sich unter dem Titel „Geschichte im Fokus“. In kurzen Sequenzen werden historische Hintergründe zum Versailler Vertrag gegeben: 1. Schloss Versailles: Ein symbolträchtiger Ort, 2. Polen: Von der polnischen Teilung bis zur Neugründung und 3. Friedenskonferenzen 1815-1919-1945. Dieses Modul ist ebenfalls gut aufbereitet, bleibt aber z.B. beim Schloss Versailles recht oberflächlich und fügt sich nicht in den unterrichtlichen Zusammenhang bzw. es lassen sich weniger Verknüpfungen zu den anderen Modulen herstellen.

Ein weiteres neues Format findet sich unter der Rubrik „Geschichte in Texten“. In dieser Produktion versteckt sich hinter dem Begriff die szenische Auslegung von literarischen Texten, wie zum Beispiel Auszüge aus Remarques „Im Westen nichts Neues“. Dieses Kapitel ist eher als ein weiteres zusätzliches Element zu bewerten, was in einem mehrstündigen Geschichtskurs zum Einsatz kommen kann. Voraussetzung ist hierbei sicherlich auch, dass den Schülerinnen und Schülern ihrerseits genügend Zeit gegeben wird, sich mit den Quelltexten auseinanderzusetzen.

Im Rahmen des Begleitmaterials werden auch gut ausgearbeitete didaktisch methodische Kommentare mit an die Hand gegeben. Diese überzeugen auch, weil hier zwischen Sekundarstufe I und II unterschieden wird. Dies ist auf jeden Fall beizubehalten. Als umständlich erweist sich immer noch das Beschaffen des didaktischen Begleitmaterials, das nach dem Einloggen von der Homepage der dokumentARfilm GmbH runtergeladen werden kann. Damit dieses gut durchdachte und methodisch ansprechende Material mehr genutzt wird und schneller griffbereit ist, fragt sich der Autor, ob dieses sehr gut durchdachte Material nicht auch in gedruckter Form der DVD beigelegt werden könnte. In Zeiten von Digitalisierung mag dieser Wunsch vielleicht veraltet wirken; jedoch könnte dies eine größere Beachtung des Materials zur Folge haben.

Fazit: Ein in jeder Hinsicht gelungenes filmisches Material, was die Darstellung und Analyse des Themenkomplexes „Versailler Vertrag“ im Unterricht gut unterstützt. Besonders zu empfehlen sind die Module 1-3, die eine umfangreiche und abwechslungsreiche Behandlung des Themas ermöglichen. Lebendig werden die Module durch die verschiedenen Perspektiven, sowohl inhaltlich bspw. in Form der Vielzahl von ExpertInnen, zum anderen aber auch durch die methodischen Ansätze wie z. B. dem Blick auf die Grenzveränderungen auf den Karten oder die szenischen Lesungen.

Eine bessere mediale Unterstützung für das Unterrichten des Versailler Vertrags kann man sich nicht vorstellen. Man merkt mit welcher Detailversessenheit und mit wie viel Expertise diese Filmsequenzen und das didaktische Begleitmaterial erarbeitet wurden. Gerade im Vergleich zu ganz frühen Produktionen der Reihe (z.B. zur Industriellen Revolution) wird deutlich, wie das Angebot umfangreicher und weiterentwickelt wurde. Man kann sich nur auf weitere Produktionen der Reihe freuen.

Den Haag, Januar 2018

Onno Schroeder, Deutsche Internationale Schule Den Haag, Niederlande