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inn-joy, 18.02.2016

1871 geht für viele Deutsche ein sehnlicher Wunsch in Erfüllung: die Gründung des deutschen Kaiserreichs. Das Reich in der Mitte Europas entwickelt sich schnell zur politischen und industriellen Großmacht. 1918 geht dieses Kaiserreich an imperialem Machtstreben und seinen eigenen inneren Widersprüchen zugrunde. Nationaldenkmäler wie das Hermannsdenkmal, Niederwald, Kyffhäuser, Deutsches Eck und Völkerschlachtdenkmal sind Zeugnisse dieser Zeit. Sie reflektieren die Irrungen und Wirrungen deutscher Nationalgeschichte.

Der Hauptfilm zeigt am Beispiel des Hermannsdenkmals und anderer Denkmäler die wechselhafte Geschichte des deutschen Kaiserreichs: Für seinen Erbauer vertritt es einen im Liberalismus wurzelnden demokratischen Nationalgedanken. Bürger wie Arbeiter können sich gleichermaßen mit dem Denkmal identifizieren. Im liberalen Geist begonnen ändert sich sein Symbolgehalt hin zu einem Denkmal reaktionären nationalistischen Denkens. Kein Symbol lässt sich so gut gegen innere und äußere Reichsfeinde einsetzen wie der populäre Arminius – der Befreier Germaniens.

Rezension: Eines der wichtigsten Jahre für die deutsche Geschichte ist zweifelsfrei das Jahr 1871 als im Spiegelsaal von Schloss Versailles das Deutsche Kaiserreich ausgerufen und somit die „Staatsgründung von oben“ vollzogen wurde. Hier wurde vollendet, was bereits 1848/49 in der gescheiterten Revolution versucht wurde, nämlich das „Land der Deutschen“ zu einen. Hier wurde die Verfassung als Grundstein des neuen Staates gelegt, der den Kaiser und Otto von Bismarck zu den unangefochtenen Spitzen des Staates machten. Aber hier zeigt sich auch, wie die Menschen mit Minderheiten umgingen, die sie nicht als „Deutsche“ ansahen. Viel von dem, das sich in den kommenden Jahrzehnten historisch ereignen sollte, nimmt durch die Reichsgründung 1871 ihren Ursprung. 

Zur Reichsgründung und zum „Nationalbewusstsein“ der Deutschen hat dokumentARfilm in der Reihe „Geschichte interaktiv“ vor Jahren bereits eine Folge mit dem Titel „Das deutsche Kaiserreich 1871-1918“ heraus gebracht. Im Laufe der Zeit entschieden sich die Verantwortlichen jedoch, die Folge zu aktualisieren und zu überarbeiten. Die Neufassung besticht mit neu gedrehtem Filmmaterial, einigen neuen Kommentartexten, die dem aktuellen wissenschaftlichen Forschungsstand entsprechen, neuen Grafiken und Karten sowie einer neuen Kapitelgewichtung. Darüber hinaus wurde auch hier eine englische Sprachfassung für den bilingualen Geschichtsunterricht hinzugefügt. 

Das erste Modul der vorliegenden DVD befasst sich mit der Reichsgründung 1871. Es beginnt mit einer kurzen „Rückschau“ auf die gescheiterten Revolution 1848/49 als „Vorspiel“ der Reichsgründung. Hier gefällt mir persönlich, dass Filmausschnitte nun in einen Rahmen mit eingebunden werden und so natürlicher wirken, als mit seinem schwarzen Kinorahmen. Es folgen zweit Kapitel zur „Reichsgründung“ und „Reichsverfassung und Rechtsstaat“. 

Modul zwei stellt den „eisernen Reichskanzler“ Otto von Bismarck in den Fokus. Seine beiden großen politischen Herausforderungen, der Kulturkampf und die Sozialistengesetze, werden ebenso beleuchtet, wie die Außenpolitik, die geprägt war von dem Motto „Das Deutsche Reich ist saturiert“ und der Isolationspolitik des alten „Erbfeindes“ Frankreich. 

Im dritten Modul dreht sich alles um die „Industrialisierung und Soziale Frage“. „Wirtschaftsmacht Deutschland“, „Bürgerstolz und Massenelend: Soziale Gegensätze“ und „Arbeiterbewegung und Sozialpolitik“ sind hier die Schwerpunkte des Moduls.

Mit der „Wilhelminische(n) Gesellschaft“ befasst sich Modul vier. „Bildung und Erziehung“ und „Männer und Frauen: Geschlechterrollen“ sind die Modulunterthemen.

Ebenfalls die Wilhelminische Gesellschaft prägend ist der Umgang mit „Minderheiten im Kaiserreich“. Neben den „Ruhrpolen“, mit denen man sich teilweise schwer tat, waren es vor allem „die Juden“, die von der Gesellschaft zum Teil offen diskriminiert und verfolgt wurde. So erklärt sich auch, dass der „Judenhass“ der Nationalsozialisten auf einem gesellschaftlich teilweise akzeptierten Nährboden fiel. 

Das vorletzte Modul der DVD befasst sich mit Kaiser Wilhelm II. der das genaue Gegenteil des alten Bismarck war: Jung, voller Tatendrang und mit jeder Menge Chauvinismus und Geltungssucht nach Weltmachtstreben ausgestattet, löste er die von Bismarck erreichten Bündnisse und steuerte so (wie in Kapitel sieben thematisiert wird) das Deutsche Reich sehenden Auges in den Ersten Weltkrieg. 

Wie schon die letzten DVDs, so ist auch die aktuelle Folge 3 für den bilingualen Unterricht nutzbar. Auch Unterrichtsmaterial zum Thema ist vorhanden. Dieses liegt auf der Homepage zum Download vor. Auf 96 Seiten bietet das didaktisch hervorragend aufbereitete Arbeitsmaterial eine Vielzahl unterschiedlicher Arbeitsblätter. Neben Beobachtungsaufgaben zu den einzelnen Filmmodulen, gibt es beispielsweise ein Aufgabenblatt mit einer Karikatur zu Bismarck, in der es um die „Erbfeindschaft“ zwischen dem Kaiserreich und Frankreich geht, Quellenauszüge wie eine Rede des Politikers und Literaten Victor Hugo, fachwissenschaftliche Texte, vertiefende Materialien, Fotos, die die Situation der Menschen zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs mit der Gegenwart vergleichen, Werbeanzeigen, Plakate, Karten uvm. Sämtliche Materialien werden von einem methodisch-didaktischen Kommentar begleitet, welcher der Lehrperson bei ihrer Unterrichtsvorbereitung helfen soll. Ein zusätzlicher Fokus wird auf die Zusammenfassung von Interpretationsleitfäden gelegt. Mit den so genannten „Methodenkarten“ geben die Autoren den Schülerinnen und Schülern knappe und präzise Leitfäden für Interpretationen von Plakaten und Fotografien an die Hand. Gemeinsam mit den Leitfäden der anderen DVDs entsteht so ein umfassendes Methoden-Archiv.

Fazit: Besser hätte die Neuauflage der Folge 3 „Das deutsche Kaiserreich 1871-1918“ der Reihe Geschichte interaktiv von dokumentARfilm kaum werden können. Die stellenweise auffallende Überarbeitung bei gleichzeitiger Fortführung bereits sehr gut vorhandener Darstellungen, das brillante und sehr umfangreiche Unterrichtsmaterial, das auch noch kostenlos angeboten wird (!) und die Hinzunahme einer englischen Sprachfassung zeigen, dass die Reihe immer am Puls der Zeit ist. Für kommende Folgen und Neufassung würde ich mir noch binnendifferenzierte Materialien wünschen. 

Die inn-joy Redaktion vergibt 10 von 10 Punkten.

Die inn-joy Redaktion bedankt sich bei dokumentARfilm für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.

C. Fischer

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