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Geschichte Lernen, Heft 149/2012

Deutschland auf dem Weg zum Nationalstaat 1815-1871

Ein Film von Carola Halfmann und Anne Roerkohl.

[...] Die Distribution multimedialer Inhalte für Unterrichtszwecke verschiebt sich in den letzten Jahren zunehmend auf den Online-Bereich. CDs und DVDs mögen deshalb schon fast als anachronistische und „veraltete" Datenträger anmuten. Entgegen diesem Trend hat sich die Firma Dokumentarfilm aus Münster auf die Produktion von didaktisierten Medienpakten für die Lehrerhand spezialisiert. Für den Geschichtsunterricht werden sie in einer eigenen Reihe unter dem Namen „Geschichte interaktiv" publiziert.

Filmkonzept

Die hier besprochene DVD beinhaltet neben einem Hauptfilm insgesamt sechs Einzelmodule. Geboten werden filmische Rekonstruktionen, die als dokumentarische Kompilationsfilme inszeniert sind. Sie verbinden unter anderem zeitgenössische Bildmaterialien, Animationen, Aufnahmen von historischen Orten, Auszüge aus Interviews mit den Historikern Christian Jansen und Ute Planert, Rezitationen von Quellen und Kommentierungen aus dem Off. Auffallend ist, dass in diesem Zusammenhang die Fragen des Interviewers fehlen. Der Historiker belegt in den meisten Fällen durch sein Expertenurteil die filmisch dargestellte These.

Aus diesem Aufbau fallen die beiden letzten Module heraus. Modul 5 gibt in pointierter Form Aussagen aus den geführten Gesprächen wieder (z.B. Ute Planert: Zwei Gesichter des Nationalismus). Sie vertiefen und problematisieren teilweise das filmische Narrativ. Das letzte Modul liefert elf durch einen professionellen Sprecher vorgetragene Quellenmaterialien. Sie repräsentieren unterschiedliche Gattungen (z.B. Heinrich Heines Gedicht „Die Schlesischen Weber").

Die Länge der Einzelbeiträge variiert. Maximal werden aber lediglich rund 27 Minuten erreicht.

Inhaltliche Schwerpunkte

Insgesamt dominiert in den ersten vier Modulen eine politik-, sozial-, und wirtschaftsgeschichtliche Perspektive. In deren Zentrum steht die Frage, welche Faktoren und Ursachen zur Gründung des Deutschen Reichs geführt haben. Deshalb setzt der Hauptfilm den Wiener Kongress (1815) und die Gründung des Deutschen Kaiserreichs (1871) als bedeutsame Zäsuren. Die Befreiungskriege, deren Bedeutung für die – ambivalent zu bewertende – nationale Idee kaum zu unterschätzen sind, werden weitestgehend ausgeblendet.

Der Film thematisiert die Enttäuschung der 1814/15 unter den Völkern Europas verbreitete Hoffnung auf die Bildung nationaler staatlicher Einheiten durch den Wiener Kongress unter der Ägide des „Fährmanns" Clemens Fürst von Metternich. Stattdessen hinterließ die Neuordnung Europas Nationen wie Polen, Italien, Deutschland ohne Einheitsstaat und restaurierte die Fürstenherrschaft von Gottes Gnaden. Diese Diskrepanz legte gleichsam den Grundstein für die Revolution von 1848, deren tieferliegende Ursachen der Film insbesondere in der Unterdrückung der nationalen und liberalen Bewegung durch die Fürsten, in den sozialen Veränderungen im Zuge der beginnenden industriellen Revolution sowie den Agrar- und Hungerkrisen der 1840er Jahre sucht.

Die filmische Interpretation der Bedeutung von 1848 kann aus erinnerungs- bzw. wirkungsgeschichtlichem Blickwinkel durchaus kritisch eingeschätzt werden. Während die Revolutionäre und Parlamentarier der Paulskirche getragen von nationaler und liberaler Euphorie scheitern, wird der konservative Bismarck als Vollender des Traums nach nationaler Einheit präsentiert. „Die Siegesgöttin ist auf Bismarcks Seite", so lautet eine Kommentierung aus dem Off im Kapitel „Der Weg zum Nationalstaat 1850-1871", während in Überblendung zu einem historischen Gemälde, das Bismarck zu Pferd und in Militäruniform wohl nach der Schlacht von Königsgrätz zeigt, die Berliner Siegessäule mit Victoria zu sehen ist. Letztlich bleibt die Kontur des Begriffs „Nation" unscharf. Weder das Konzept der Staats- noch das Konzept der Kulturnation kommen zur Sprache.

Zusatzmaterial

Zum Filmteil tritt ein DVD-ROM-Teil. Er bietet insbesondere PDF-Dateien. Sie enthalten Kurzbiographien zu einzelnen in den Beiträgen angesprochenen historischen Persönlichkeiten, Zeitleisten, Methodenkarten (z.B. zum Umgang mit Lyrik), weiterführende Links und Kontaktdaten. Zu jedem Modul werden Aufgabenstellungen zum Film sowie unterschiedlichste – auch vertiefende – Materialien bereitgehalten. Sie lassen sich über einen didaktisch-methodischen Kommentar erschließen. Letztlich fällt bei den Aufgabenstellungen auf, dass die Machart des filmischen Materials nicht als Lernanlass wahrgenommen wird. Interessant wären z.B. auch Aufgaben zur Analyse der Montage- bzw. zur Inszenierungstechnik. Das filmische Material dient allerdings ausschließlich der Entnahme von Informationen – im Sinne von Arbeitsaufträgen wie „Fassen Sie die Inhalte des Films [...] zusammen." Hier verschenkt das Paket ganz klar eine didaktische Chance.

Fazit

Wenn sich auch – ruft man sich den Reihentitel ins Gedächtnis – der Grad an Interaktivität des DVD-ROM-Teils auf das Navigieren durch die verschiedenen Materialien beschränkt, erhalten Lehrkräfte mit der vorliegenden Zusammenstellung trotz allem einen vollkommen unterrichtstauglichen und gut einsetzbaren Materialfundus, der auch in problemorientierte oder multiperspektivisch angelegte Stundenverläufe eingebaut werden kann.

Alexander König