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Silke Gatermann, März 2016

Rezension zu Geschichte interaktiv Nr 3  Kaiserreich 1871-1918, Überarbeitung 2016

So unterschiedlich die Geschichtscurricula in den einzelnen Bundesländern auch immer gestaltet sein mögen, die Erarbeitung des deutschen Kaiserreiches von 1871 bis 1918 - einer entscheidenden Schnittstelle in der deutschen Geschichte - ist in allen Bundesländern verankert.

Daher kommt die Überarbeitung der ersten Fassung von Geschichte interaktiv Nr. 3 aus dem Jahre 2006 gerade recht. Es hat sich in der Zwischenzeit viel getan, sowohl in fachwissenschaftlicher Hinsicht als auch in methodisch-didaktischer Ausrichtung. Die Hör-Seh-Gewohnheiten unserer Schülerklientel haben sich verändert. Mit den längeren Erläuterungen aus dem Off kommen die Lerner nicht mehr so gut zurecht.

Weshalb lohnt sich die Anschaffung der neuen Fassung für die Schule, wo doch inzwischen so viel Material online verfügbar ist?

Der Hauptfilm bietet wie gewohnt in insgesamt 24 Minuten einen sehr guten Überblick über die gesamte Zeit des Kaiserreiches. Da der Hauptfilm in fünf Kapitel unterteilt ist, kann die Lehrkraft sich jedoch auch entsprechend den Anforderungen der jeweiligen Lerngruppe für eine weitere Aufteilung des Überblicks in kleinere Bearbeitungsschritte entscheiden. Jedes Kapitel wird durch Beobachtungs- und Arbeitsaufträge unterstützt. Allein die auf der Webseite angebotenen Materialien stellen eine erhebliche Arbeitserleichterung in der Vorbereitung dar.

Die Filmbeiträge, die zum Teil von der Autorengruppe selbst erstellt wurden, wurden explizit für den schulischen Einsatz ausgewählt und zusammengeschnitten. Schon dies stellt einen großen Vorteil dar, auch wenn es unzählige unsortierte Angebote im Netz gibt.

Besonders für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I ist die inhaltliche Herangehensweise ansprechend, da die Entwicklung der Kaiserzeit anhand der damals errichteten Nationaldenkmäler aufgerollt wird.  Heute scheinen die Denkmäler eher touristisches Ausflugsziel zu sein, damals aber trugen sie entscheidend zur Bildung eines deutschen Nationalbewusstseins bei. Wie politisches Geschehen die Wirkungsabsicht und Sinnstiftung beeinflusst, wird in den Kapiteln des Hauptfilmes und in den nachfolgenden sieben Modulen einleuchtend visualisiert und mündlich erläutert. Die Erläuterungen sind auch für jüngere Schülerinnen und Schüler nachvollziehbar formuliert und hervorragend präsentiert. Dies gilt für die deutsche wie auch die englische Tonspur. Die Verbindung zur weiteren Umdeutung der Nationaldenkmäler in der Zeit von Weimar und anschließend im Nationalsozialismus führt automatisch zum Nachdenken über die Bedeutung dieser Denkmäler in unserer Zeit und für unsere Zeit. Ein Ausflug zu einem Denkmal in der Umgebung liegt nahe. Anlässlich des Gedenkens an den ersten Weltkrieg rücken einige dieser Denkmäler bis 2018 wieder in den Fokus.

Der Einsatz von Postkarten und Plakaten zur Verbreitung staatsstützender Ideen, die auch Ausgrenzungen von Minderheiten zum Ziel hatten, wird für Schülerinnen und Schüler bildlich sehr ansprechend aufbereitet. Die genauere Analyse wird erleichtert durch gelungene Arbeitsaufträge und hilfreiche Methodenkarten zur Analyse von Fotografie und Plakat. Diese Dateien findet der Nutzer im Downloadbereich auf der Webseite der Anne Roerkohl dokumentARfilm GmbH.

Mit den sieben Vertiefungsmodulen erarbeiten sich die Schülerinnen und Schülern nähere Einblicke in die Phase der Reichsgründung, in die Rolle der Industrialisierung, die Veränderungen innerhalb der Gesellschaft sowie in die Entwicklungen, die zum ersten Weltkrieg führten. Zudem können sie sich mit zwei einflussreichen Persönlichkeiten, Bismarck und Wilhelm II, sowie zwei Künstlern, Jünger und Toller, auseinandersetzen, die trotz ähnlicher Erfahrungen zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen gelangen. Diese Abschnitte kann die Lehrkraft auch im Deutschunterricht gewinnbringend einsetzen.

Mit den im Download verfügbaren Arbeitsmaterialien eröffnet sich ein sehr umfangreiches Quellenmaterial, das in den Vertiefungsmodulen besonders für die Oberstufe ausreichend Aufgaben für differenzierendes Arbeiten bietet. Den Arbeitsmaterialien vorgeschaltet ist jeweils eine Empfehlung für die anvisierten Schulstufen. Hilfreich ist die Auflistung der Kompetenzbereiche (Sach- und Urteilskompetenz, Medienkompetenz), die mit dem Material geschult werden sollen.

Den Schülern der Sekundarstufe I haben bei der Erprobung besonders die kreativ-produktiven Aufgabenstellungen gefallen, da sie ihr Wissen hier nicht über die üblichen Textsorten verarbeiten konnten. Die Aufbereitung von Dialogen oder kurzen Drehbüchern ist hochmotivierend, besonders, wenn dann im Unterricht noch Zeit bleibt, die eigenen Texte vorzuführen.

Bilingual unterrichtende Lehrkräfte werden sich über die Glossare zu den einzelnen Modulen freuen. Ebenso hilfreich kann der Sprechertext sein, der über die ebenfalls notierten Aufnahmezeiten schnell gefunden werden kann.

Die Aufnahmequalität hat sich entscheidend verbessert, so dass es nicht mehr zu Interferenzen zwischen deutscher Originalspur und übergelegtem englischem Sprechertext kommt. Überhaupt ist die englische Sprecherstimme exzellent in Intonation und Sprechgeschwindigkeit. Auch bei längeren Erläuterungen wirkt der Text nicht ermüdend.

Wünschenswert aus Sicht der bilingual unterrichtenden Kollegen wäre es natürlich, dass ein englischer Quellentext auch in englischer Sprache zur Verfügung steht, da in der Regel im bilingualen Unterricht nicht mit der deutschen Übersetzung eines englischen Originals gearbeitet wird.

Nichtsdestotrotz bietet das zur Verfügung gestellte Material einen reichhaltigen Überblick und über die Links bzw. Quellenangaben findet man auch schnell den Weg zu den inzwischen von den digitalen Bibliotheken zur Verfügung gestellten Originalquellen.

Mein Fazit: Die Anschaffung lohnt sich!

(Silke Gatermann ist Lehrerin für Deutsch, Geschichte, PGW, Englisch, History und PSE am Gymnasium Ohmoor in Hamburg)