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Marco Schröder, August 2010

Nach den fulminanten Veränderungen in der deutschen und europäischen Geschichte am Ende des 18. und am Beginn des 19. Jahrhunderts (Französische Revolution, Napoleonische Ära und Befreiungskriege, Wiener Kongress und Heilige Allianz, Julirevolution) begann spätestens mit dem Tod Goethes 1832 auch auf literarischem Gebiet eine neue Zeitrechnung. Heinrich Heine, neben Karl Gutzkow und Ludwig Börne prominentestes Mitglied des losen Schriftstellerverbandes „Junges Deutschland“, sprach gar vom „Ende der Kunstperiode“, was in programmatischer Hinsicht eine Abschüttelung tradierter Normen und überholter Konventionen bedeutete, um dem Zeitgeist gerecht zu werden. Auch Heines Werke waren weder obrigkeitsorientiert noch obrigkeitshörig und standen damit zwangsweise in Konfrontation zu den nahezu allseitigen restaurativen Bestrebungen unter Metternich’scher Dominanz. Einzig und allein dem Gewissen verpflichtet, reklamierte die behördlich verfolgte Riege dieser neuen Schriftstellergeneration – gleich den Vertretern des literarischen Vormärz – nicht nur politisches Mitspracherecht für die unteren Schichten und die Beseitigung feudal-absolutistischer Relikte, sondern sie forderten auch vor dem Hintergrund der beginnenden Industrialisierung Lösungsansätze der Sozialen Frage ein. Um ihrem Ansinnen Gehör zu verschaffen, setzten sie die Gesetzmäßigkeiten des aristotelischen Dramas endgültig außer Kraft und bedienten sich verschiedenster literarischer Genre (Novelle, Reisebericht, Essay, Flugschriften, journalistische Texte), die ihnen zeitgemäßer und publikumswirksamer erschienen. (Der Umstand, dass gerade Goethe, der Dichter der Fürsten, mit der Einforderung eines allgemeinen Verlagsrechtes für seine „Ausgabe letzter Hand“ 1825/26 gerade auch diesen Autoren ein wertvolles Exempel statuierte und ihnen Wegbereiter bei der Sicherung eigener urheberrechtlicher Ansprüche war, trägt hierbei fast ironische Züge.)

Große Namen verbinden sich mit dieser facettenreichen literarischen Epoche des geistigen und kulturellen Umbruchs, die auch das literarischen Biedermeier und als gegenläufige Tendenz damit die Resignation vor den als fatal empfundenen politischen Verhältnissen einschloss. Dass sich in diesem vielgestaltigen frührealistischen Parnass auch Schriftstellerinnen (Bettine von Arnim, Annette von Droste-Hülshoff) erfolgreich einen Namen machen konnten, ist Indiz für ein weiteres Postulat jener Autoren – die Emanzipation der Frau.

Auf all diese Aspekte wird in der zuletzt erschienenen Folge „Literatur des 19. Jahrhunderts. Junges Deutschland, Vormärz, Biedermeier“ der Reihe „Deutsch interaktiv“ eingegangen. Im Kontext des 25-minütigen Hauptfilms findet zunächst das politische Zeitgeschehen, ausgehend von den Geschehnissen der Französischen Revolution bis hin zur Einigung Deutschlands, Betrachtung. Dies ermöglicht den Schülern nicht nur die historische und sozialgeschichtliche Einordnung und das Verständnis literarischer Konzeptionen im 19. Jahrhundert, sondern es liefert auch wichtige Anknüpfungspunkte hinsichtlich der Bewertung frühmoderner literarischer Produkte. Explizit eingegangen wird auf letztere dann im Rahmen dreier autorenbiografisch orientierter Module (je ca. 15.30 bis 17 Minuten). Berücksichtigung finden hierbei Heinrich Heine und seine sich vor allem im lyrischen Schaffen niederschlagende Kritik an den politischen Zuständen (Modul 1), Georg Büchner und sein Kampf um Aufmerksamkeit für die unteren Schichten (Modul 2) sowie das stimmungsvolle literarische Werk Annette von Droste-Hülshoffs (Modul 3). Das Modul 4 wirft schließlich ein Schlaglicht auf den von Zensurmaßnahmen, Verlagspolitik und einer neuartigen Lesekultur geprägten literarischen Markt jener Zeit. Eine wertvolle und für einen modernen Deutschunterricht unabdingbare Ergänzung bilden die auf der DVD 2 befindlichen insgesamt 24 separat einsetzbaren Filmmaterialien (Rezitationen, Theater- und Filmmitschnitte). Außerdem liefert der siebenminütige Längsschnitt „Heimatverlust und Exil“ einen Einblick in autorenbezogene Auswandererschicksale aus mehr als anderthalb Jahrhunderten. Zudem steht für die unterrichtliche Vor- und Nachbereitung auf jeder der beiden DVDs ein CD-ROM-Teil mit didaktisch aufbereiteten, ergänzenden Materialien (Aufgabenstellungen, Autorenporträts, Quellenmaterial) zur Verfügung.

Wie auch die übrigen bisher erschienenen drei Folgen der Reihe so überzeugt auch dieser Teil – „Literatur des 19. Jahrhunderts. Junges Deutschland, Vormärz, Biedermeier“ – durch seine anspruchsvolle und qualitativ hochwertige Aufmachung. Erstklassig ausgewählte Zitatbeiträge sowie Mitschnitte von Experteninterviews ergänzen die dokumentarischen Filmsequenzen und vergegenwärtigen in komprimierter Form auf eindrucksvolle Weise Hintergründe und Vorgänge des Literaturgeschehens im 19. Jahrhunderts.

Die Einsatzmöglichkeiten dieser Doppel-DVD im Unterricht sind vielfältig. Der Hauptfilm, die Module und die Filmmaterialien der DVD 2 eignen sich für eine Verwendung im Einstieg, während der Arbeit an literarischen Texten und auch in der Wiederholungs- und Festigungsphase. Dass zahlreiche Fragen auch nach der Rezeption der Beiträge offen bleiben, ist nicht als Manko dieser Folge, sondern vielmehr als dessen Potenzial hinsichtlich einer weiteren Beschäftigung mit dem Lerngegenstand zu werten. Kurzum: Es handelt sich um eine gelungene medienpädagogische Ergänzung des Literaturunterrichts mit bemerkenswertem didaktischem und fachwissenschaftlichem Tiefgang.

Marco Schröder (Gymnasiallehrer für Deutsch und Geschichte, Dresden)